Via „23. settembre“ – Die Gestaltung einer Kletterroute

Die Via „23. settembre“ ist ein Beispiel, wie eine Route aus einer Wand herausgearbeitet wird. Nach der ersten Durchsteigung der Wand, entsprachen einige Passegen noch nicht unseren Vorstellungen einer idealen Route. Büchiger Fels, gefährliche Blöcke und Erde beeinträchtigten in so manchen Passagen und Seillängen eine harmonische, empfindungsfreudige Kletterei.

Die vorletzte Seillänge über eine von Gras und Sträuchern durchsetzte Verschneidung konnten wir relativ einfach verbessern, indem wir diese Seillänge an die Kante weiter rechts verlegten. Große Mühe bereiteten uns zwei Seillängen am Beginn der oberen Hälfte. Bei der Erstbegehung schien uns dies die beste Möglichkeit zu sein. Möglichkeiten einer mehr direkteren Linienführung schlossen wir wegen schlechtem Gelände, bzw. einer uns zu schwierig erscheindenden Wand aus. So versuchten wir zuerst mit viel Mühe und tagelanger Arbeit diese zwei Seillängen in einen empfehlenswerten Zustand zu bringen. Viel Erde und lose Steine waren zu beseitigen. Unser stärkster Feind aber war der Aufwind, der hier an der nach Süden exponierten Wand lebhaft unsere Arbeit immer wieder zunichte machte, der die Erde wieder nach oben beförderte und sie schön gleichmäßig auf die zuvor gereinigten und im Sonnenlichte strahlenden Felsen verteilte. Es war wie ein Fass ohne Boden. Die Erde verteilte sich nicht nur auf die Felsen, sondern auch auf uns und am Abend waren wir einem Kaminkehrer nicht unähnlich. Mit Brillen versuchten wir uns davor zu schützen, dass der Staub in die Augen drang.

Aber trotz aller Mühe gelang es uns nicht, diese beiden Seillängen annehmbar und zur Zufriedenheit zu gestalten. Die Erde war nicht zu bändigen und der brüchige Fels schien unergründlich. Sie entsprachen gar nicht dem Ideal. Besonders Heinz Grill störte die Disharmonie und so suchte er nach einer anderen Möglichkeit. Er schaute sich den Teil, dem wir bei der Erstbegehung ausgewichen waren, doch einmal näher an und fand eine gute Lösung über zwei steile, von einem Band unterbrochenen Wände.

Eine Kletterroute sollte nach unserem Idealbild sauber und möglichst frei von Erde sein. Genauso wenig, wie man sich in einer verstaubten und verschmutzten Wohnung wohlfühlt, so verleidet ein verschmutzter Felsen eine sonst schöne Klettertour. So ist die Sauberkeit für uns nicht der einzige , aber ein wichtiger Teil, der eine erlebnisreiche Kletterroute auszeichnet.

Auf einen sauberen, das Licht hell reflektierenden Fels wird man gerne hinschauen, er ist anziehend, entgegenkommend. Mit einem schmutzigen Fels wird man sich nicht so leicht anfreunden, man fühlt sich eher abgestoßen, findet auch kaum einen guten Kletterrhythmus. Wie fühlen wir uns, wenn wir auf einem mit Erde bedeckten Tritt stehen oder sich Erde zwischen der Verbindung von Fels und Fingern befindet? Die Gefahr des Abrutschens ist groß und wir werden uns sehr unsicher fühlen. Selbst feiner Staub kann eine feste und verlässliche Verbindung zwischen den Gliedern und dem Felsen verhindern und die Sicherheit vermindern. Fühlt man sich unsicher, so kann auch nicht der Rhythmus mit seinen freudigen, leichten und eleganten Bewegungen entstehen.

Dieses tiefere Erleben der Formen und Farben, so wie es Heinz Grill feinfühlig wahrnimmt und für die Kletterer erlebbar machen möchte, lebt oft verborgen hinter unseren Emotionen. Wir sind oft so mit den Anforderungen beschäftigt, die die Kletterroute an uns stellt, dass wir diese feineren Empfindungen nicht bewußt wahrnehmen und es vielleicht deshalb auch nicht für so wichtig erachten, ob der Fels mehr oder weniger sauber ist.

Durch die oben beschriebenen und einige weitere kleine Veränderungen und Verbesserungen der ursprünglichen Linie entstand eine empfehlenswerte Route mit alpinistischem Charakter und einer mehr direkten, aufstrebenden Linie.

23. settembre, 4. Seillänge: Quergang
am Ende der Kante zum Stand.